TOS Dienste nun auch in Brasilien

Brasilien

In diesem Jahr haben wir unsere

Arbeit auf ein neues Land ausgeweitet.

Seit dem Sommer bauen wir in Recife, der östlichsten Großstadt des lateinamerikanischen Kontinents, einen Projektstandort auf. Warum tun wir das? Warum gerade dort und was hat sich schon getan? Entdecken Sie auf den folgenden Seiten das Profil einer Stadt, deren Not zum Himmel schreit, und was die Antwort darauf sein kann.

 

Die Stadt der Heimatlosen                                

Recife ist für viele Dinge bekannt. Eine Metropole im Nordosten Brasiliens am Meer gelegen, bietet sie wunderschöne Strände, äußerst freundliche Menschen und sehr abwechslungsreiche Viertel, wie sie vielleicht in jeder Großstadt zu finden wären. In der Vergangenheit vom Zuckerrohranbau und vom Kautschukboom reich geworden, sind in der Gegenwart viele Menschen in andere Provinzen Brasiliens abgewandert. Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit haben sich ausgebreitet. In den 1980ern als beliebter Ferienort gefeiert, sind heute viele Häuser baufällige Ruinen. Schätzungen gehen davon aus, dass 15 Prozent der Einwohner Recifes auf der Straße leben. Die Corona-Pandemie hat den Trend verstärkt. Viele Kinder flohen während der Ausgangssperren aus den engen Hütten, in denen sich häufig Gewalt und Missbrauch zuspitzten, auf die Straße – manche zum Fußball spielen, andere zum „Abhängen“. Für einige war das der Beginn ihres Lebens auf der Straße. Sie laufen jede Nacht Gefahr, bestohlen, misshandelt oder getötet zu werden. In einigen Vierteln zählt ein Menschenleben nicht viel. Schon durch einen Streit kann ein Messer gezückt und der andere verwundet oder umgebracht werden. Recife hat eine der höchsten Mordraten des Landes. Auch wer zu viel weiß oder gesehen hat, kann umgebracht werden.

 

Die Tragödien der Entwurzelten                           

Wir gehen an die Orte der Stadt, wo sich Kinder und Menschen ohne Obdach sammeln, suchen Kontakt zu ihnen und erfahren dabei ihre Geschichten:

Mali lebt mit ihren zwei Kindern auf der Straße. Sie kam als Jugendliche vom Land in die Stadt, um eine bessere Schulbildung zu erlangen. Sie suchte bei den falschen Menschen Halt und Geborgenheit und wurde ungewollt schwanger. Sie schämte sich, mit dem Kind und ohne Schulabschluss nach Hause zurückzukehren. So begann sie, sich auf der Straße zu verkaufen, um ihr Kind ernähren zu können. Schon bald war sie mit dem zweiten Kind schwanger. Nun glaubt sie nicht mehr, dass es für sie noch ein anderes Leben geben kann. Sie geht davon aus, dass es immer so weitergehen wird.

Kyla ist schon auf der Straße geboren. Ihre Mutter lief als junges Mädchen von Zuhause weg und brachte sie in einer Umgebung voller Gefahren zur Welt. Sie ist nie zur Schule gegangen und weiß nicht, wie sie ihren Namen schreiben würde.

Resi weiß, dass sie zu den Menschen am Rand der Gesellschaft gehört. Ihr einziges Lebensziel bestand darin, selbst ein Kind zu bekommen, um „jemanden zu haben“ und nicht allein zu sein. Mit 16 Jahren wurde sie schwanger.

Venezios Eltern verließen in einer heftigen Auseinandersetzung das Haus und kamen nie zurück. Nach einigen Tagen hörte er, dass die Mutter nicht mehr am Leben war. Vom Vater fehlt seitdem jegliches Lebenszeichen. Als das Essen knapp wurde, ging Venezio auf die Straße, um nach etwas Geld oder einem kleinen Job zu suchen. Er hörte, dass es in der nächstgrößeren Stadt Arbeit geben soll. So kam er nach Recife. Arbeit fand er nicht, aber Geld um nach Hause zurückzukehren, hat er auch nicht. Das ist schon einige Jahre her. Venezio lebt immer noch auf den Straßen Recifes.

Wir sprachen mit diesen kostbaren Menschen auf einem Platz, der sich in der Abenddämmerung in einen Sammelplatz für Suchende nach einem Ort zum Schlafen verwandelt. Manche bringen dünne Matratzen mit, andere legen sich auf eine Tüte. Viele liegen direkt auf dem Boden. Ein Kind weint, aber keiner reagiert. Die Menschen in der Nähe schauen apathisch in die Ferne. Sie haben Drogen genommen und hören das Schreien nicht. 

 

Unsere Antwort auf die Not – ein Anfang

Seit Juli 2023 sind wir mit einem Team in Recife vor Ort. Wir gehen zweimal pro Woche auf den erwähnten Platz, sprechen und spielen mit den Kindern und gewinnen ihre Herzen.

Für viele Kinder sind das die glücklichsten Stunden. Sie spielen so konzentriert, dass sie alles andere um sich herum vergessen.

Langsam gewinnen wir das Vertrauen von einigen. Wir beten für sie und zeigen ihnen Auswege aus ihrer Situation. Wir laden sie in das „blaue Haus“ – unsere Räumlichkeiten – ein, um an weiteren Workshops und Kinderprogrammen teilzunehmen. Das ist eine Anlaufstelle und ein Zufluchtsort, an dem sie Schutz vor den Gefahren der Straße finden und christliche Werte kennenlernen: kein Stehlen, keine Gewalt, keine Drogen, ein Ort, an dem sie der Liebe Gottes begegnen können.

Doch das ist nur ein Anfang. Zukünftig möchten wir die Workshops noch weiter ausbauen. Kinder sollen in Form von kreativen Angeboten eine sinnvolle Beschäftigung erhalten, die ihnen hilft, aus Überlebenskampf und Perspektivlosigkeit herauszukommen und normale Tagesstrukturen zu entwickeln. Später können sie an aufbauenden Kursen teilnehmen, um Fertigkeiten zu erlernen, mit denen sie Geld verdienen können. Dabei ist geplant, auch Elemente zur jüdischen Kultur und Geschichte der Stadt miteinfließen zu lassen, da sich unsere neuen Räumlichkeiten in einem ehemaligen jüdischen Kulturzentrum befinden.

 

Darum sind wir nach Recife gekommen

Wir hatten von der Situation der Straßenkinder in Recife gehört, waren davon getroffen und wollten darauf eine Antwort geben. Parallel entdeckten wir, dass sich im historischen Zentrum der Stadt mit der Kahal Zur Israel-Synagoge das älteste jüdische Gotteshaus ganz Amerikas befindet. Als Christen wissen wir, dass unser Glaube jüdische Wurzeln hat. Deshalb besuchten wir die Synagoge, um unsere Wertschätzung dafür auszudrücken. Es sollte sich herausstellen, dass ein dortiger Mitarbeiter zu einem wichtigen Kontakt für unser Vorhaben werden würde.

Um uns einen Eindruck der Situation zu verschaffen, erkundeten wir mehrere Armenviertel, auf Portugiesisch „Favelas“, in Recife, sprachen mit Experten und Vertretern der Stadtverwaltung. Dabei wurde uns allein das flächenmäßig große Ausmaß der Not bewusst. Bald stand fest, dass wir unsere Arbeit nicht auf ein Viertel beschränken können. So entstand die Vision, ein Haus in der Nähe verschiedener Brennpunktviertel zu finden und so eine Anlaufstelle für Menschen dieser Favelas zu schaffen. Schlussendlich fanden wir eine Straße mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Wie sich herausstellte, befand sich die Straße im ehemaligen jüdischen Viertel, das vor Jahrzehnten größtenteils verlassen wurde. Nun sind die meisten Häuser von Armen aus dem Landesinneren besetzt.

Dieses und andere Stadtteile verfielen immer mehr. Heute grenzt es an mehrere Armenviertel. Plätze, auf denen sich Straßenkinder sammeln, liegen in der Nähe. Durch die Vermittlung des Mitarbeiters, den wir beim Synagogenbesuch kennengelernt hatten, konnten wir in dieser Straße beginnen ein Haus zu renovieren, das – wie die meisten Gebäude – in einem baufälligen Zustand ist. Parallel veranstalten wir dort die ersten Angebote für Kinder und Erwachsene und erwarten, dass wir viele Neubeginne im Leben von Menschen miterleben werden. 

 

News zu unserem neuen Einsatzort Recife, Brasilien finden Sie hier.